Impressionen einer

Wanderung durch den Tien Shan 99


(Ende Juli- August 99)
Michael Keller


Silhouette kirgisischer Hirten








Kirgisien, zum ersten mal trat dieses Land in mein Bewusstsein als mir vor fast 20 Jahren ein Buch von Dschingis Aitmatov in die Hände viel. Den Titel habe ich vergessen, es handelte von Liebe und vom einfachen Leben der Hirten in einem für mich damals unerreichbar weit entfernten Land irgendwo in Zentralasien. Bilder haben sich in meinen Kopf gesetzt von grünen Bergen mit Reitern auf drahtigen kleinen Pferden, Menschen mit mongolischen Gesichtszügen, die in Jurten, großen Rundzelten abends zusammensitzen und sich Geschichten am prasselnden Herdfeuer erzählen, aus den großen Zeiten der Karawanen, die aus China kommend das Land querten und Porzellan und Seide in die reichen Städte an der Seidenstraße lieferten. Große Städte gibt es hier nicht, zu unwirtlich ist das Land im Winter, zu rau die Natur. Kirgisien ist ein Durchgangsland, es bietet nicht den Schmuck der alten Metropolen Buchara, Kiwa oder Samarkand im Tiefland von Usbekistan, aber dafür einen anderen Schatz, seine Menschen und eine überwältigende Berglandschaft, die Gott sei Dank von den Touristenströmen noch nicht erfasst ist.
 
 


So könnte Dschingis Khan ausgesehen haben

Spontan war die Entscheidung im Frühsommer 99 getroffen worden. Irgendwann kristallisierte sich die Vorstellung heraus, im Sommer dieses Land in der Mitte des gewaltigen Asiens zu besuchen. Seit ich ein kleiner Junge war, war ich fasziniert von dem großen tiefbraunen Fleck in der Mitte Asiens, der das gewaltige innerasiatische Gebirgssystem in den Atlanten darstellte. Die Phantasie wurde weiter angeheizt durch die Erzählungen des großen Asienforschers Sven Hedin, der als einer der ersten Europäer diese Weltgegend im letzten Jahrhundert durchstreifte. Diese Flecken Erde war lange Zeit für Westler fast unerreichbarer als der Mond. Im großen tiefblauen See 'Issyk-Kul' , im Ostens von Kirgisien, der einem Edelstein gleich in Mitten einer grandiosen Gebirgslandschaft von stattlichen schneegekrönten Viertausendern  liegt, hatte die alte Sovietmacht ein militärisches Versuchsgebiet für konventionelle wassergestützte Waffensysteme, damit war die ganze Gegend für westliche Spione, im Zweifel alle nicht Sovietbürger,  'off limit'. In den Bergen des Tien Shan, Chinesisch für 'himmlische Berge', wurde Uran abgebaut. Ein weiterer Grund, diese Weltgegend eifersüchtig vom Rest der Welt abzuschirmen. Aber seitdem die alten Sovietrepubliken Zentralasiens ihre Unabhängigkeit erlangten, fielen nach und nach die restriktiven Vorschriften, nur im unmittelbaren Grenzgebiet nach China benötigt man ein spezielles Permit.

Also, auf nach Kirgisien, ein Visum stellte kein Problem dar, das bekommt man inzwischen recht problemlos für ein paar harte DM in der kirgisischen Botschaft in Bonn oder heute wohl in Berlin. Formalitäten, wie in den alten Sovietzeiten, mit genauer Angabe von Orten und Zeiten des Besuches entfallen, man muss sich nur beim Betreten des Landes einmal registrieren lassen.  Die wenigen Informationen, die ich bis dahin über die aktuelle Situation im Lande hatten waren spärlich und zum Teil nicht gerade sehr ermunternd. Von finsteren Zentralasiatischen Städten war die Rede, mit prosperierender Kriminalität, nachdem die 'Segnungen' des Kapitalismus und der Demokratie die Schrecken der kommunistischen Herrschaft abgelöst haben. Selbst fernab der Städte in den Bergen sollte es Räuber geben, die anarchische Urstände feiern. Als mich dann auch noch eine E-Mail einer guten russischen Bekannten ereilte, die mir klar zu machen versuchte, dass ich wohl nicht mehr lange am Leben bleiben würde, begäbe ich mich in diese Wüstenei, da dort ein Menschenleben nichts zählt, Gerüchte in St. Petersburg rankten sich um einen Bürgerkrieg, der im fernen Zentralasien wütete. Ich konnte das nur mit den inneren Problemen in Tadschikistan in Verbindung bringen, wohin wir eigentlich nicht reisen wollten. Trotzdem kam ich doch etwas ins Grübeln.

Mit Hartmut, einem alten Schulfreund, wir kennen uns bereits seit 30 Jahren, fand sich auch einen geeigneten furchtlosen Reisepartner, der gewillt war der vermeintlichen Gefahr die Stirn zu bieten. Im Juni trafen wir uns in Karlsruhe und ich unterbreitete ihm meinen Vorschlag. "Hm, wo ist eigentlich Kirgisien genau?", fragte er mich. Die Frage war schnell geklärt und noch in der gleichen Stunde war alles klar, irgendwann Ende Juli sollte es losgehen, nur ein Rucksack pro Nase und damit wir genug Zeit hatten, hatten wir  gleich knapp sechs Wochen bis Anfang September eingeplant.
 
 

Bei kirgisischen Hirten am oberen Barkan im Tersky Alatau



Hartmut sollte sich um einen geeigneten Flug kümmern, mit British Airways hatten wir eine geeignete Verbindung gefunden, die uns nach Almaty (früher Alma Ata) in Kasachstan brachte. Mit dem kirgisischen Visum hatte man auch gleich die Berechtigung sich 72 Stunden in jedem angrenzenden Land auf Transit aufzuhalten. Wir starteten Freitag abends in Frankfurt, jeder mit einem Rucksack mit ca. 23kg Gewicht bewaffnet  und waren am Samstag um 11:00 Ortszeit nach Umsteigen in London und nach ca. 7 Stunden Flug im Almaty.
 

Eine kleine Episode  in Frankfurt am Flughafen als Warnung an alle, die mit einem Benzinkocher ausgerüstet in den Urlaub fliegen wollen: um etwaigen Gasengpässen von vorneherein aus dem Weg zu gehen, hatten wir einen Benzinkocher dabei. Selbstverständlich war alles Benzin schon seit längerer Zeit aus den Flaschen entfernt, der Kocher gründlich gelüftet, dennoch, das kennt jeder, dem einmal Benzin über die Finger gelaufen ist, bleibt ein Geschmäckle übrig. Beim Einchecken gabs denn auch prompt Probleme. Ich sollte die Benzinflasche öffnen. Nichts drin, außer eben dem Restgeruch. Nochmaliges Spülen auf der Toilette und füllen der Flasche mit gesättigter Seifenlauge konnte die 'Sicherheitsbeamtin' nicht überzeugen, das die Flasche, obwohl bis zum Rand mit Wasser gefüllt, nicht doch explodiert. Selbst Wehklagen, dass dies die einzige Flasche sei, die auf unseren Kocher passt, konnte der Flasche den Weg an Board nicht bahnen, sie steht wahrscheinlich heute noch irgendwo in Frankfurt am Flughafen. Zum Glück befand sich tief im Rucksack noch eine weitere taugliche Flasche, die bestimmt noch mehr stank. Der Benzinkocher höchstpersönlich, der sich auch im Handgepäck befand und bestimmt genauso stark oder besser schwach nach Benzin düftelte hatten sie nicht in ihrem Beuteschema. Mein Tipp, alles tief im Rucksack vergraben, Flaschen mit Wasser füllen und aufgeben.
Schon beim Anflug auf Almaty konnten wir die gewaltige verschneite Bergkette des Ili-Alataus sehen, die unmittelbar hinter der Millionenstadt auf über 4000m ansteigt. Beiendruckend auch die sich bereits jetzt ankündigenden Gewitterwolken, die sich dräuend über die Gipfel legten. Wir würden sie allzu bald zu kosten bekommen. Unser Informationsmaterial bestand außer dem unvermeidlichen Lonely Planet Central Asia aus einem kleinen Büchlein, das verschiedene Touren für die Überschreitung des Alataus von Almaty zum See Isyk Kol auf der anderen Seite des Gebirges beschrieb. Kartenmaterial hatten wir bis dahin keines.

Jetzt standen wir in Almaty, der marode sozialistische Charme empfing uns gleich mit einem abgebrannten Flughafengebäude, einen Hauch von Tschernobyl verbreitend, wenn es auch das Gebäude nur jede Menge Asbeststaub und kein Plutonium ausstieß, glücklicherweise war es nicht windig. Nach der üblichen Devisenerklärung und unserem ersten russischen Gestammel, keiner von uns beiden konnte auch nur ein Wort Russisch, Origanalton Hartmut: 'ein Wörterbuch reicht', verließen wir nach einer knappen Stunde das behelfsmäßige Empfangsgebäude. Es war angenehm warm draußen. Erst einmal mussten wir die Rucksäcke in Marschform bringen, Handgepäck untergebracht und dann gesattelt. Verflixt, das Gewicht die ganze nächste Zeit am Buckel. Jetzt gab es kein Entrinnen mehr. Der Flug und die kurze Nacht (und ein paar Gin Tonic) steckten  uns noch in den Knochen, als wir uns ins jetzt der rauen Wirklichkeit aussetzten, die in Form geschäftstüchtiger Taxifahrer über uns hereinbrandete. Man konnte Englisch, womit die Verhandlungen einfacher wurden. Es gingen auch städtische Busse, die zum Teil in interessantem Zustand waren. Ich erinnere mich solche Ansichten von Fahrzeugen das letzte mal beim Ersatzteilkauf gesehen zu haben, wie nannte der Verkäufer das, Explosionszeichnungen. Aber sie fuhren, wir wollten aber in der Stadt noch ein paar Besorgungen machen, Kartenmaterial und etwas Benzin für den Kocher (eine Flasche hatten wir ja noch). Mit dem Gepäck war uns nicht so nach Herumgesuche in einer fremden Stadt, also beschlossen wir ein Taxi zu nehmen, mit dessen Fahrer wir gleich ausmachten, dass er uns danach gleich in der Wildnis aussetzen sollte, sprich einige Kilometer außerhalb der Stadt am Beginn des Alatau Gebirges. Für satte 30$ bekamen wir einen Taxifahrer, der unsere Wünsche erfüllen wollte (das erschien uns nicht zu teuer für ca. 50km Fahrt plus die Besorgungen in der Stadt). Wir bekamen alles plus 10m Seil für alle Fälle und fuhren anschließend ins nahegelegene Gebirge um der Hektik der Stadt zu entgehen, da wir die erste Nacht bereits im Gebirge verbringen wollten.

Almaty liegt auf ca. 800m am Beginn der kasachischen Steppe, von hier nach Norden bis zum Eismeer erhebt sich keine wesentliche Erhebung mehr. Was an der Lage von Almaty besticht, ist der drastische Anstieg des Gebirgswalls des nördlichen Alatau, der innerhalb weniger Kilometer auf über 4000m aufsteigt. Fast noch im Stadtgebiet von Almaty befinden sich die ersten Viertausender. In den Alpen muss man aus dem Vorland noch einige Kilometer fahren, bis die ersten Eisriesen zu sehen sind. Nur ca. 50km Luftlinie von Almaty entfernt, durch zwei gewaltigen Bergketten von der Steppe getrennt liegt der See Isyk Kol - auf deutsch warmer See,  bereits auf kirgisischen Staatsgebiet, unser erstes Etappenziel. Noch keine Strasse überwindet hier das Gebirge, will man fahren, so muß man ca. 250km nach Westen bis Bishkek, dem früheren Frunze und heutigen Hauptstadt von Kirgisien oder nach über 100km nach Norden fahren, bis die erste Strasse nach Süden übers Gebirge führt.

Unser Fahrer kannte sich scheinbar nicht so aus, wie er vorgab (oder vielleicht doch besser), denn wir wurden nicht am kleinen Almatynsker See aus dem Auto entlassen, sondern etliche Kilometer davor und vor allem einige Meter tiefer, als die Strasse am Ende eines Tales endete. Hier stand ein altes Wasserkraftwerk, das mit einem Staurohr aus dem See versorgt wurde, der aber irgendwo den Rohren steil in den Himmel folgend sich hinter Hügeln verborgen hielt. Mit Beginn der Talstraße hatte unser Taxifahrer schon vorsorglich sein Jammergesang angestimmt, da sich die Strasse immer mehr in unberührte Natur verwandelte, aber seine Sorge galt weniger dem maroden Chassis seines Wagens, als dem armen Motor. Kurzum unsere Fahrt endete nicht wie abgesprochen am See, sondern gut 2,0 Stunden Fußmarsch davor. Seine Geldforderungen waren so gestiegen, wie der Straßenzustand gefallen war. Da er seinen Teil nicht wie versprochen erfüllt hatte, ( wie wir später sahen hatte er geflissentlich eine Abzweigung übersehen) gab's auch nicht mehr Geld, dafür von ihm die besten und frommsten Wünsche, dass uns die Mafia in den Bergen den A... aufreißen sollte. In Anbetracht des ihm bezahlten fürstlichen Lohns, wie wir später, nachdem wir die Preise im Griff hatten, feststellen mussten, wirklich nicht gerechtfertigte Segnungen. Aber die Mafia hatte wohl auch besseres zu tun, als uns zu malträtieren.

Wir befinden uns jetzt auf knapp 2000m. Gegen halbdrei Ortszeit ging's los, steil parallel zu den Fallrohren, der Rucksack drückt auch nach unten. Kaum waren die ersten 200 Höhenmeter überwunden fing es zu Überdruss auch zu regnen und gewittern an. Das neben diesem gewaltigen Blitzableiter. Wir fanden in einem verfallenen Gemäuer neben den Fallrohren ein einigermaßen trockenes Plätzchen. Nach einem halben Stündchen ging's weiter, aber es regnete ein wenig. So konnten wir wenigstens die Regentauglichkeit unserer Ausrüstung gleich testen. Irgendwann erreichten wir den See, der auch bequem durch eine Fahrstraße erreichbar gewesen wäre (diesmal galten unsere frommen Wünsche dem wackeren Taximann). Aber immerhin hatten wir die ersten Höhenmeter hinter uns und frohren nicht. Es war noch hell, oder besser gesagt wieder hell, da die Gewitterwolken etwas abgezogen waren, also ging's weiter in Richtung des ersten Passes, der immerhin noch über tausend Höhenmeter über uns als erstes zu überwinden war. Am Ende des Sees war die letzte steinerne Behausung, dann ging's es langsam über die Waldgrenze bei 2700m immer einem wilden Gewässer folgend auf Fahrspuren einer alten Militärstrasse nach oben. Als wir einen geeigneten Lagerplatz fanden. Stellten wir unser Zelt auf, zum Essen hatten wir keine Zeit und Lust mehr, nachdem wir paranoid unsere Schuhe und alles bewegliche mit unseren Töpfen verschnürt hatten, damit es auch ja Krach macht, falls ja jemand etwas entwenden wollte, schliefen so fest ein, dass wir wahrscheinlich noch nicht einmal gemerkt hätten, wenn man uns die Unterhosen geklaut hätte.
 
 

Traumhafter Lagerplatz im Tersky Alatau




Nach einem bleiernen Schlaf wachten wir morgens bei frischen Frühtemperaturen um die 6° plus auf, schälten uns aus den Schlafsäcken und kochten unser erstes Mahl.

Zur unserer Verpflegung auf der Tour ein paar Worte. Diese Bestand im wesentlichen aus ganz normaler Tütenkost, die man in jedem Laden bei uns einkaufen kann. Ich hatte ein Sammelsurium aus Tütensuppen und anderen 'Leckereien', die man in Tütenform einkaufen kann zusammengestellt. Ergänzt wurde das Ganze durch 1kg Trockenmilchpulver, getrocknetes Kartoffelpulver (ideal zum Strecken von dünnen Suppen), gegen Skorbut oder ähnliche Vitaminmangelerscheinungen halfen Vitaminbrausetabletten, die in frischem Wasser aufgelöst unterwegs besser als Champagner schmeckten. Man wundert sich stets, wie genügsam der Körper auf solchen Touren werden kann, nach einer Weile in der Wildnis wird selbst die grausigste Tütenkost zu einem wahrlich lukullischen Mahl. Diese Erfahrung hatte ich auch schon oft auf früheren Exkursionen gemacht. Der Hunger lässt einfach nach einer Weile nach, es reichen schon geringe Mengen am Tage aus, um ein gutes Sättigungsgefühl zu erreichen (das liegt sicher auch daran, dass wir beide natürlich beide  mit Untergewicht losgezogen sind, die knapp 10kg Gewichtsverlust nach der Tour, haben uns beiden sicherlich gut getan). Alles in allem hatte ich etwa 6-7 kg Verpflegung für uns beide im Rucksack, was sage und schreibe für 28 Tage Trekking Tour ausreichte, ich glaube ich habe sogar noch zwei Tüten wieder mit nach Hause gebracht. Natürlich sind wir unterwegs auch einmal von Hirten eingeladen worden. Verhungert wären wir aber auch so bestimmt nicht.
 
 

Ak Su - weißes Wasser-
echt starkes Mineralwasser, kernig und mit Biss, alle Filterungsversuche
mit Handtuch, Stehen lassen etc. waren fruchtlos





Anfangs war der Hunger noch groß, später schrumpfte der Magen und damit war man auch viel schneller satt. Wasser ist in dieser Gegend kein Problem, so dass man auf das Mitführen größerer Wassermengen verzichten konnte. Stets sprudelte ein Bach mit frischem Wasser oder eine Quelle lag auf dem Weg. Da Giardia ein Problem darstellen kann, hatten wir auch einen keramischen Wasserfilter  dabei, den wir aber nur selten einsetzten, wir hatten nie irgendwelche Probleme mit dem Wasser. Manchmal war es einfach sehr mineralisch, aber der Pfefferminztee, den wir daraus auch brauten schmeckte nicht schlecht.
 
 

Bei mit  solchem Wasser angereicherter  Kost ist Osteoporose kein Thema mehr




Bei schönem Wetter starteten wir gegen 9:00 aber schon bald stellten sich uns das erste Hindernis in den Weg. In den Alpen gibt es normalerweise Stege oder Brücken, hier nicht. Ein erster doch schon ganz schön rauschender Bach stellte sich in den Weg und wollte durchquert sein, keine Brücke weit und breit. An der Stelle wo die Fahrspuren den Bach querten war er beindruckend flott und mehr als knietief. Da mussten wir durch und noch wollten wir uns eigentlich keine nassen Füße holen. Unsere Zurückhaltung, was das anbelangt, sollte aber im Verlauf der Tour noch drastisch abnehmen. Da das Wasser doch empfindlich kalt ist, kommt es doch meist direkt aus irgendeinem Gletscher, empfiehlt es sich nicht, barfuß den Weg anzutreten, innerhalb weniger Sekunden gehören die Füße nicht zum restlichen Körper und man geht wie auf Stelzen, Verletzungen durch Anstoßen oder Stolpern wäre die direkte Folge. Also galt es mit den guten trockenen Bergschuhen mutig den Weg ins Nasse anzutreten. Da die Bächlein in der Regel auch recht munter zu Tale streben, sind Stöcke sehr hilfreich, um die glücklich gewonnenen Höhenmeter nicht beim zu Tale schwimmen wieder zu verlieren, geschweige denn sein Gepäck. Wir schritten den Bach flussaufwärts ab und fanden einige hundert Meter oberhalb eine gangbare Stelle. Die Schuhe waren auf jeden Fall danach nass. Zu allem Überfluss fing es nach der Querung auch zu gewittern an und die ersten Schneeflocken fielen jetzt hier auf 3000m vom Himmel. Wir entschlossen uns kurzerhand, da nicht in Eile, das Zelt aufzustellen. Ein Schachspiel verkürzte uns die Zeit im Zelt. Nach zwei Stunden wurde das Wetter wieder besser und wir brachen wieder auf. Gegen Abend erreichten wir dann den Pass, der Kirgisien und Kasachstan trennte. Beim Anstieg zum Pass sah man auf der rechten Seite und in südlicher Richtung große vergletscherte Berge. Am Pass  auf 3600m endeten die Fahrspuren und man blickte ein langes Tal nach Süden hinab, das in das lange Längstal des breiten Flusses Tschom Kemin einmündete. In der Ferne erhoben sich die eisbedeckten Gipfel des Küngei Alataus, hinter denen unser erstes Ziel, der See Isyk Kol lag.
 
 

Nasse Füße gab's öfters

Doch recht müde vom heutigen Tag, steigen wir noch in der Abendstimmung das breite Tal bis auf 3300m ab, um dann unser Zelt neben den Wegspuren aufzuschlagen. Die Temperaturen sinken nachts doch bis knapp 0°C  auf dieser Höhe.

Am nächsten Tag steigen wir in das obere Tal des Tschom Kemin ab, das sich beim Abstieg breit vor uns ausbreitete. Der Fluß schlängelt sich in einem breiten Schotterbett von Osten kommend nach Westen hin. Der Talgrund  ist hier auch 3000m hoch. Auf beiden Seiten hat sich ein breites Hochufer gebildet, das mit Edelweiss geflutet schien, Weidewirtschaft wurde anscheinend dieses Jahr nicht betrieben, da wir keinen Menschen zu Gesicht bekamen. Die Landschaft hier oben war traumhaft schön. Im Osten konnte man die Berge der Keminsker Brücke sehen, die die beiden Hauptketten des nördlichen Alataus, den Ili-Alatau und den Küngei Alatau miteinander verbindet. Alle Berggipfel um uns herum sind stattliche viertausender. Wir müssen uns nach Osten halten, um den Tschom Kemin, der hier vor uns als unüberschreitbar gilt, an seinem Ursprung zu umgehen. Nach Osten haltend schlagen wir unser Lager vor einem jetzt am Nachmittag doch recht beachtlich rauschendem Bergbach auf, der von Norden kommend gletschergespeist zu Tal rauscht. Morgens nimmt die Wassermenge in solchen Bächen deutlich ab, weshalb man die Überschreitungen stets in den Vormittagsstunden vornehmen sollte. Es zieht sich wieder zu, Gewittergrollen rollt von den Bergen herunter, die sich wieder in Schwarz kleiden. Gegen Abend kommt die Sonne hervor, ein Regenbogen spannt sich über das Tal, die Berge haben die Farbe gewechselt, oben herum sind sie jetzt weiß gepudert, wie Muttis Sonntagskuchen.

Am nächsten Morgen ging's weiter, das Wetter war traumhaft, keine Wolke am Himmel, stahlblau und glasklare Luft. Wir sattelten und machten uns auf den Weg, doch erst mal nasse Füße, dabei  beging ich den schweren Fehler, nicht die Socken zu wechseln, da es ja noch einen Fluss zu queren galt. Nun ja Dummheit wird bestraft, am Abend hatte ich noch nicht einmal mehr Blasen an den Fersen, sondern gar keine Haut mehr. Wir umgingen den Tschom Kemin, der nach ca. 8km talaufwärts unvermittelt aus einer das Tal querenden Moräne drang. Hinter der Moräne lag versteckt im Tal ein traumhafter türkisfarbener See vor einer unvergesslichen Bergkulisse. Alle Qual der Besteigung der schottrigen Moräne war bei diesem Anblick augenblicklich vergessen. Zuvor schon hatten wir ganz oben im  südlich einmündende Tal des Ak Su die Zunge des Östlichen Ak Su Gletschers sehen können, den wir am nächsten Überschreiten wollten. Er sah noch verflixt weit aus. Nachmittags zogen die ersten Wolken auf, nichts gutes verheißend. Nach strahlendem Vormittag verfinsterte sich das Wetter nachmittags zusehends. Wir stiegen das Gletschertal auf, deutlich war hier der klimatische Einfluss des Gletschers auf die Vegetation zu sehen. War am Pass Ossiernjew noch auf 3600m alles grün, so wurde hier die Vegetation schon bei 3200m sehr spärlich, was sicher seinen Grund am kalten Hauch, der vom Gletscher herabstrich, hatte. Als wir unser Zelt noch ca. 1- Stunden vor dem Beginn des Gletschers in einer unwirtlichen Stein- und Gerölllandschaft aufschlugen begann es auch schon zu graupeln. Mit Blick auf das Wetter und meine Fersen, sah ich getrost dem kommenden Tag entgegen, der uns über den Gletscher und von dort über den 4150m hohen Ak Su Pass bringen sollte.


Is noch was drin? Abendmahl in der Geröllwüste des  oberen Ak Su Tal

Der Morgen "überraschte" mit leichtem Regen  und tiefliegender Wolkendecke. Nachdem ich meine Ferse versorgt hatte ging's los, die ersten Schritte taten noch etwas weh, doch bald setzte die wohltuende Wirkung der körpereigenen Endomorphine ein, es half ja nichts, die Aufmerksamkeit wurde zudem durch das Wetter in Beschlag genommen. Nach Anstieg zum Gletschermund auf ca. 3600m ging's auf das schmutzig graue Blankeis, wir hatten Steigeisen dabei, die aber eigentlich nicht notwendig waren, aber dennoch Trittsichersicherheit verschafften. Das Schmelzwasser schoss bereits in langen eingekerbten Rinnen senkrecht den Gletscher hinab, Steigspuren von anderen Wanderern sahen wir auf dem Gletscher keine, nur beim Betreten des Gletschers gab es Spuren im Geröll, die sich dann bald auf dem blanken Eis verloren. Über die Berge vor uns schien sich bedrohlich eine Wolkenwand zu wälzen und sich den Gletscher hinab zu ergießen. Spalten sollte es nur offene sichtbare geben, so hatte man uns berichtet. Wir hatten eigentlich nur die Sorge von einer Nebelwand verschluckt zu werden und die Orientierung im grauen Einerlei zu verlieren. Den Gletscher sollte man nach 2km nach links verlassen und über eine feinsandige Moräne auf den Ak Su Pass gelangen. Wir hatten ein GPS Gerät dabei, in dem wir vorsichtshalber unseren Startpunkt beim Betreten des Gletschers abgespeichert hatten. Die Luft wurde jetzt doch zusehends dünner im Gegensatz zu den Rucksäcken, die die gegenteilige Entwicklung zu machen schienen. Hartmut hatte ganz schön zu pusten, ich war bereits etwas akklimatisierter, da ich in den Alpen schon ein paar Touren unternommen hatte. Das Wetter hielt erstaunlicherweise, die Wolkenwand blieb stabil drohend über dem Talschluss, das erwartete Donnerwetter blieb aus. Wir entdeckten den seitlich liegenden Ak Su Pass und verließen auf 3800m Höhe den Gletscher, nicht ohne uns einen gangbaren Weg über die zerklüftete Randzone suchen zu müssen. Vor uns lag noch ein ermüdender 350m Aufstieg auf einem schmalen steilen Pfad über eine feinsandige Endmoräne zu der unendlich weitentfernt zu liegen scheinenden Scharte im Gebirgskamm.
 
 


Ja wo laufen sie denn?  Auf dem Ak Su Gletscher
 
 


Die Wolkenwand verschonte uns glücklicher Weise
 
 


Hartmut im Endspurt auf den letzten Metern zum Ak Su Pass,
darunter der obere Teil des östlichen Ak Su Gletschers



Irgendwann war auch das geschafft und von hier aus ging es nur noch ca. 50km bergab nach Grigorievka am See Isyk Kol. Vorbei an einem kleinen hängenden Gletscher, der laufend Felsbrocken von seiner Endmoräne in den Endsee spuckte, ging es hinab in ein schönes langes grünes Tal. Deutlich bemerkbar,  hier auf der Südseite des Alataus ist das Klima milder, die Baumgrenze lag  hier bereits auf 3000m. In diesem Tal sahen wir die ersten von kirgisischen Hirten bewohnten Jurten und kamen mit Kefir, Kumys und nicht zuletzt mit Wodka in Berührung. Pferde und Kühe grasten in den saftigen Grassmatten entlang des Tales. Unvermeidlich wurden wir in eine der Jurten gebracht, was uns nicht unrecht war, da es leicht aber beständig regnete und wir uns etwas trocknen konnten und das Ende des Regens abwarten. Die Unterhaltung führten wir mit Händen und Füssen und mit Resten von Türkisch, das wir beide von früheren Urlauben in der Türkei noch parat hatten. Kirgisisch ist dem Türkischen sehr verwand und lies sich auf jeden Fall leichter merken, als das zungenbrecherische Russisch. Es gab selbstgebackenes Brot mit Sahne, die hier oben mit einer Art Zentrifuge mit Handbetrieb direkt aus der Milch gewonnen wird. Die Frauen sitzen stundenlang vor einer kaffemühlenartigen surrenden Maschine aus der seitlich ein dünnes Rinnsal Sahne lief. Kefir ein anderes Produkt wird ähnlich wie Joghurt aus Milch durch vergären mit Bakterien erzeugt, dazu wird die Milch zuvor in einem großen Topf abgekocht. Es schmeckt hervorragend und ist sehr bekömmlich. Kumys wird durch alkoholische Vergärung von Stutenmilch gewonnen, es ist das Nationalgetränk der Kirgisen, es ist eine Art Softdrink mit ca. 3% Alkohol und soll viel Vitamin C enthalten, er wird schon kleinen Kindern gegeben. Von größeren Mengen soll es einem schlecht werden, weniger wegen des Alkohols, mir reichte schon ein kleiner Schluck, um zu entscheiden, dass dieser Genus nichts für meinen Magen war, was aber nichts bedeuten soll. Im Topf auf dem Ofen in der Mitte der Jurte dampfte eine fremdartige Suppe, in der Teile schwammen, die aussahen als ob sie einst einem jüngst erlegten Alien gehört hätten. Da die Gastfreundschaft der Kirgisen gefürchtet ist, man muss alles essen und noch mehr, drängte ich stetig zum Aufbruch. Der gute Hartmut, der meine Ängste sehr wohl erkannt hatte und der aufgrund teilweisen englischen Erbguts was Essen anbelangt nicht sehr wählerisch ist, versuchte meinen Aufbruch auf nahezu sadistische Weise zu bremsen, was ihm aber glücklicherweise nicht gelang. Es hörte zu regnen auf und die günstige Gelegenheit nutzend, konnte ich den für meine Magennerven rettenden Aufbruch herbeiführen.

Am nächsten Tag rasteten wir in der Waldzone, in der in dieser Jahreszeit Unmengen von Pilze zu finden sind. Professionelle Pilzsucher streifen durch die Wälder. Die Pilze werden nach Sorte getrennt und in einer gesättigten Salzlauge gekocht und haltbar gemacht. Wir blieben zwei Nächte hier, das Wetter war durchsetzt, es regnete immer wieder einmal. Dann ging es in einem langen Rutsch aus dem Gebirge hinaus nach Grigorievka, wo wir abends nach langem anstrengendem Marsch anlangten. Der Ort liegt am Ausgang einer Schlucht, die aus dem Gebirge führt in der Uferebene des Sees. Hier war es deutlich wärmer und uns wurde auch klar, woher das ganze Wasser kam, das in den Gewittern niederging. Ich hatte mich schon die ganze Zeit gefragt, wo hier inmitten Asiens die ganzen Wolken herkommen. Hier lag die Antwort vor uns, ein riesiger tiefblauer See, auf der gegenüberliegenden Seite am Horizont stiegen die gewaltigen Berge des Tersky Alataus auf. Gregoriefka empfing uns, so wie ich mir ein russisches Dorf vorgestellt habe, typisch mit einer endlos langen Hauptstrasse, die auf beiden Seiten von einem offenen maroden Wasserkanal flankiert wurde, in dem das Wasser aus dem Gebirge durch den Ort jagte. Dahinter kleine Häuschen hinter denen sich jeweils ein großer Nutzgarten befand. Alles ein wenig heruntergekommen, außerhalb des Ortes waren alte verfallene Wirtschaftsgebäude ehemaliger nun wohl aufgelassener Kolchosen zu sehen. Wir erregten keine besondere Aufmerksamkeit, der Großteil der sichtbaren Bewohner waren wohl ehemalige Russen und keine Kirgisen, die es hierher verschlagen hatte.

Ein Kiosk, das sind kleine Verschläge, in denen Kleinigkeiten des Alltags verkauft werden machte auf sich aufmerksam. Wir sahen einen der männlichen Bewohner vor einem kleinen Verschlag stehen und unmissverständlich verschwand eine Flasche klaren Wodkas unter seinem Frack. Wir waren richtig hier, erst mal die Segnungen der Zivilisation, eine Flasche Cola gegen den Durst, die gab's auch hier, und eine Flasche Wodka, die gab's erst recht und die hatten wir uns auch verdient. Wo bleiben war die nächste Frage, auch dieses schwierige Problem lösten wir. Wir fanden Unterkunft gegenüber der Wodkaquelle in einem Nebengebäude eines der Häuser. Ein sauberes einfaches Zimmer, Tisch und Stühle, ein Gasherd, was will man mehr. Unsere Gastgeber kochten uns noch etwas, mit dem Sohn des Hauses leerten wir noch den Wodka, der sich in unsre entwöhnten Körper verströmte, bevor wir in die Schlafsäcke krochen.

Am nächsten Tag war das Wetter immer noch durchsetzt, so dass wir uns entschlossen noch einen Tag länger hier zu bleiben, unsere Sachen wuschen und durch den Ort schlenderten. Auf dem Markt, der an der Hauptstrasse lag kauften wir Gemüse ein und einen riesen Sack Himbeeren, die hier hinter jedem Haus in Unmengen wuchsen. Die wollten wir heißmachen und mit Wodka aufmischen, was uns auch abends wieder mit dem Sohn des Hauses gelang. Nach einem Tag des Ausspannens war auch das Wetter besser geworden und wir fuhren am nächsten Tag mit dem Bus nach Karakol auf der anderen Seite des Sees.

Man wundert sich, wie viele deutsche Autos man hier auf den Strassen vorfindet, beliebt ist Audi und Golf, alles ältere Modelle, die wohl irgendwie den Weg hierher gefunden haben, sei es legal oder illegal. Busse haben sehr oft eine deutsche Aufschrift irgendeines Reiseunternehmens und Kleinlaster eines deutschen Handwerksbetriebs. Mit einem Kleinbus ging's dann über eigentlich gar nicht so schlechte Strassen ins ca. 100km entfernte Karakol, wo wir Mittags anlangten.



> > > Mehr von Hartmut
(2. Link)